06 Sep

Lernzielorientierte Didaktik vs. Constructive Alignment

In zwei früheren Beiträgen hat meine Kollegin Friederike Hoffmann bereits das didaktische Konzept des Constructive Alignment nach Biggs und Tang (1999) vorgestellt, das derzeit maßgeblich die theoretische Ausrichtung der Hochschuldidaktik bestimmt. In diesem Beitrag möchte ich ein sehr ähnliches didaktisches Modell vorstellen, das im deutschsprachigen Raum bereits vor einigen Jahrzehnten in der Schulpädagogik entwickelt wurde, und dieses in Zusammenhang mit dem Constructive Alignment setzen: die Lernzielorientierte Didaktik nach Möller (1976).

FilmConstructiveAlignment.k2.960x540

Quelle: HDZ Baden-Württemberg

Constructive Alignment

Die grundlegende Annahme des Constructive Alignment ist, dass bei der Planung einer Lehrveranstaltung eine größtmögliche Kohärenz zwischen Lernziel, Lehrmethode und Prüfung berücksichtigt werden sollte. Die drei Komponenten bedingen einander:

  • Welche Lernziele (learning outcome) werden in der Lehrveranstaltung angestrebt?
  • Welche Strategien und Lehrmethoden ermöglichen ein Erreichen der Lernziele?
  • Wie kann überprüft werden, ob die angestrebten Lernziele erreicht wurden?

Lernzielorientierte Didaktik

Ein Blick auf dieses Konzept zeigt, dass der Grundgedanke ziemlich ähnlich ist mit dem des Constructive Alignment: es werden Lernziele bestimmt, durch deren Formulierung bestenfalls bereits ein Hinweis auf eine zu wählende Methode geliefert wird, mit der die Lernziele erreicht werden können (Wenn das Lernziel z.B. lautet „Studierende beziehen kritisch Stellung zu Theorien„, wäre eine Diskussion eine geeignete Methode).

Peterßen (2000) beschreibt ein Lernziel mit 5 Kriterien:

  • Ein Lernziel bezeichnet von außen gesetzte Ziele.
  • Ein Lernziel bezeichnet ein Verhalten.
  • Ein Lernziel bezeichnet das Verhalten von Lernenden.
  • Ein Lernziel bezeichnet ein erwünschtes und in der Vorstellung vorweggenommenes Verhalten.
  • Ein Lernziel bezeichnet die möglichst eindeutige Beschreibung von Verhalten.

Zusammengefasst erscheinen hier besonders zwei Punkte für die Formulierung von Lernzielen wichtig:

  • Lernen wird hier als (beobachtbare) Verhaltensänderung aufgefasst: D.h. dass die Lernzielorientierte Didaktik eine behavioristische Sicht auf Lernen hat.
  • Und: das Verhalten soll möglichst eindeutig beschrieben werden: Dadurch sollen Indikatoren für die Verhaltensänderung festgelegt werden (Operationalisierung) – Woran genau also erkenne ich, dass jemand etwas gelernt hat?

Kritik

Die Kritik, die in den 1970er-Jahren gegen die Lernzielorientierte Didaktik vorgebracht wurde, richtet sich vor allen Dingen gegen die präzisierten Lernziele, die nicht nur die Lehrfreiheit der Unterrichtenden, sondern auch die Mitbestimmung der Lernenden deutlich einschränkt. Wenn durch ein ausgewähltes Lernziel (learning outcome) die Auswahl der Lehrmethode (input) bereits weitestgehend vorgegeben wird, scheint diese Kritik auch durchaus angemessen: es ist ein bestimmter Prozess zu wählen, der zum erwünschten Produkt führt.

Ausgehend von der These, dass Constructive Alignment und Lernzielorientierte Didaktik sich in ihren Kerngedanken sehr ähnlich, stellt sich die Frage: Trifft die Kritik an der Lernzielorientierten Didaktik auch auf das Constructive Alignment zu?

Biggs und Tang würden dies vermutlich verneinen, denn sie beziehen sich in ihrer Arbeit auf eine konstruktivistische Sicht auf Lernen. Sie verstehen Lernen als einen Prozess, in dem Lernende ihr Wissen durch selbständige Handlungen konstruieren. Damit rücken also die Aktivitäten der Lernenden in den Mittelpunkt.

Diese sich eigentlich widersprechende Einordnung eines an und für sich sehr ähnlichen Konzepts wirft für mich Fragen auf, auf die ich bereits in einigen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen nach Antworten gesucht habe: Wieso wird die Lernzielorientierte Didaktik dem Behaviorismus zugeordnet und das Constructive Alignment nicht? Wo können sich im „outcomes-based teaching and learning“ (Biggs & Tang, 1999) konstruktivistische Lernelemente wiederfinden?

Konsens

Ein Konsens könnte in die Richtung gehen, dass auf beiden Seiten Abstriche gemacht werden: das Constructive Alignment lässt sich genauso wenig vollständig dem Konstruktivismus zuordnen wie die Lernzielorientierte Didaktik dem Behaviorismus.

  • Peterßen (2000) hält beispielsweise dazu an, Lernziele und deren Operationalisierungen nicht als endgültige und unumstößliche Entscheidungen anzusehen, sondern sie situativ zu anzupassen.
  • In Curricula festgehaltene Lernziele können auch als eine Art Durchschnitt dessen betrachtet werden, was von Studierenden am Ende ihres Studiengangs erwartet wird.
  • Darüber hinaus werden sie aber wohl im Laufe ihres Studiums noch zahlreiche weitere Kompetenzen und Fähigkeiten lernen, die nicht im Curriculum stehen. Auch Lehrende werden in ihren Lehrveranstaltungen mehr vermitteln, als ursprünglich geplant war (hier sei auf die Idee des „heimlichen Lehrplans“ von Zinnecker hingewiesen).
  • Das Constructive Alignment betont stärker die eigene Aktivität der Lernenden als die Lernzielorientierte Didaktik und schließt so vor allen Dingen ein methodisches Postulat mit ein.
  • Schließlich dienen Lernziele in beiden Konzepten in erster Linie zur Orientierung bei der Gestaltung der eigenen Lehre, denn eine präzise Angabe von Intentionen ist gleichzeitig auch Voraussetzung für Korrekturen: Nur, wenn man weiß, wohin man möchte, kann man den Weg dorthin auch verändern.

Abschließen möchte ich diesen Beitrag mit einem Zitat von William James (1899), das die grundlegende Problematik der Didaktik auf den Punkt bringt, aber dennoch eine Anregung für die Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen bereithält:

„I say moreover that you make a great, a very great, mistake if you think that psychology, being the science of the mind’s laws, is something from which you can deduce definite programmes and schemes and methods of instruction…. Teaching must agree with the psychology but need not necessarily be the only kind of teaching that would so agree…“

Quellen:

  • Biggs, J. & Tang, C. (2011). Teaching for Quality Learning at University. (4th edition). The Society for Research into Higher Education and Open University Press (McGraw Hill Education). Maidenhead, Berks.
  • Peterßen, W.H. (2000). Handbuch Unterrichtsplanung: Grundfragen, Modelle, Stufen. (9., aktualisierte und überarbeitete Auflage). Oldenbourg: München.