Lehrpersönlichkeits-Coaching II: Was bedeutet das? (Teil 2)
Anknüpfend an den ersten Beitrag der Serie zum Lehrpersönlichkeits-Coaching, der sich mit den Fragen „Wer bin ich?“ und „Wofür stehe ich?“ beschäftigt hatte, widme ich mich heute der Frage „Was bedeutet Lehrpersönlichkeits-Coaching?“. Beim Lehrpersönlichkeits-Coaching geht es darum, sich seiner selbst wie auch des eigenen Ressourcenreichtums gewahr zu werden, und diesen im Einklang mit der eigenen Wertehierarchie für die Entfaltung eines subjektiv stimmigen Lehr-, Betreuungs- und Führungsstils nutzbar zu machen. Zu Grunde liegt hierbei die Überzeugung, dass die Weiterentwicklung und Stärkung individueller Lehrpersönlichkeiten nicht als ein auf die Lehrtätigkeit als solche begrenzter Prozess betrachtet werden sollte, sondern eines ganzheitlichen Zugangs bedarf, welcher der universitären Realität von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern gerecht wird. Sehen sich diese doch mit dem anspruchsvollen Unterfangen konfrontiert, in der Promotions- bzw. Postdoc-Phase qualitativ hochwertige Lehrveranstaltungen anzubieten, sich in der akademischen Selbstverwaltung einzubringen und die eigene wissenschaftliche Profilbildung bzw. außeruniversitäre Karriereentwicklung im Blick zu haben. Demnach bietet das Lehrpersönlichkeits-Coaching, das im Rahmen des Humboldt Reloaded Projekts der Universität Hohenheim entwickelt worden ist, den Teammitgliedern die Möglichkeit, eine Vielzahl von lehr- oder berufsbezogenen Anliegen zu klären.
Meine Herangehensweise an das Lehrpersönlichkeits-Coaching beruht auf einem vierdimensionalen Persönlichkeitsverständnis, das neben Kognitionen, Motivationen und Eigenschaften auch Emotionen
umfasst.1
In der kognitiven Dimension ist das Augenmerk auf die mentalen Schablonen gerichtet, durch welche die Lehrpersönlichkeit die Welt sieht. Dies umfasst (lehr)philosophische und instrumentelle Überzeugungen sowie bestärkende und einschränkende Glaubenssätze. Die (lehr)philosophischen Überzeugungen beziehen sich auf die externe Welt der Lehrpersönlichkeit, d.h. sie spiegeln ihre Annahmen über Gruppen, ihr Gegenüber oder eigene Einflussmöglichkeiten auf den Verlauf von Lehrveranstaltungen oder die Studierenden wider.2 Die instrumentellen Überzeugungen einer Lehrpersönlichkeit geben Auskunft über ihre interne Welt, wie z.B. ihre präferierte Vorgehensweise bei der Bestimmung von Lehr-/Lernzielen, Auswahl von Methoden oder Lösung von Konflikten. Sich seiner bestärkenden wie auch einschränkenden Glaubenssätze gewahr zu werden, liefert einen wichtigen Schlüssel für die Stärkung und Weiterentwicklung der individuellen Lehrpersönlichkeit.
Motivationen verstehe ich als explizite oder implizite Beweg- oder Vermeidungsgründe für Handlungen auf bewusster oder unbewusster Ebene.3 Anknüpfend an die Ergebnisse aus der (politischen) führungspsychologischen Forschung, richtet sich die Aufmerksamkeit in der motivationalen Dimension des Lehrpersönlichkeits-Coachings auf die so genannten „Big Three“, d.h. das Leistungs-, Zugehörigkeits- und Machtmotiv, wobei letzteres sich in sozialisierter oder personaler Form äußern kann.4 Das Erfassen der persönlichen Motivausprägungen ist in zweierlei Hinsicht sehr gewinnbringend. Zum einen ermöglicht dies ein tiefergehendes Verständnis der eigenen Antriebsmotoren und damit auch Kraftquellen für die Lehr- bzw. Berufstätigkeit. Darüber hinaus liefert die Kenntnis der eigenen Motivausprägungen einen wichtigen Schlüssel, um die mit dem jeweiligen Lehrstil verbundenen Implikationen auf die gruppendynamischen Prozesse in Lehrveranstaltungen zu verstehen. So liefe beispielsweise ein rein leistungsmotivierter Lehrstil Gefahr, die zwischenmenschliche Ebene bei der Gestaltung von Lehrveranstaltungen zu vernachlässigen und damit auch die affektiv-motivationalen Aspekte von Lernprozessen.
Die dritte Dimension des Lehrpersönlichkeits-Modells bilden Eigenschaften, verstanden als zeitlich und situationsübergreifend relativ stabile Charakteristika. Basierend auf den in der Persönlichkeitsforschung etablierten so genannten „Big Five“, ist hier der Fokus auf fünf Faktoren gerichtet: Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Emotionale Stabilität vs. Neurotizismus sowie Offenheit für neue Erfahrungen.5 Wie auch in der kognitiven und motivationalen Dimension des Lehrpersönlichkeits-Coachings, geht es bei den Eigenschaftsausprägungen darum, sich von vermeintlich idealtypischen, fremdbestimmten Rollenbildern zu lösen, und sich der eigenen Originalität gewahr zu werden, aus der sich der authentische Lehrstil speist. So mag es für eine Lehrpersönlichkeit mit großer Offenheit für neue Erfahrungen und einem niedrigen Neurotizismus stimmig sein, selbst in der von vornherein ergebnisoffeneren forschungsnahen Lehre zu experimentieren, wohingegen ein stärker vorstrukturierender Lehrstil für andere Lehrpersönlichkeiten authentisch ist.
Bei der emotionalen Dimension des Lehrpersönlichkeits-Modells gilt es zu differenzieren zwischen den angeborenen basalen Affekten wie z.B. Angst, Wut, Freude oder Trauer, die spontan spürbar sind, sowie jenen Emotionen, wie z.B. Stolz, Enttäuschung oder Scham, deren Empfinden einen selbstreflexiven Prozess voraussetzen, also die Bezugnahme auf die jeweiligen Vorstellungen von Angemessenheit.6 Insbesondere mit Blick auf die per se mit größeren Unwägbarkeiten und Ambiguitäten einhergehenden forschungsnahen Lehrveranstaltungen, bietet das Lehrpersönlichkeits-Coaching eine Möglichkeit, subjektiv stimmige Antworten auf die Frage zu finden: „Wer bin ich als Lehrpersönlichkeit und was macht mich aus?“. Wie diese Suche nach den eigenen Schätzen aussehen kann, wird Gegenstand des dritten Beitrags der Serie zum Lehrpersönlichkeits-Coaching sein.
Ausführlich zum Persönlichkeitsverständnis Cornelia Frank (2017): Politische Psychologie in den Internationalen Beziehungen, in Frank Sauer/Carlo Massala (Hg.): Handbuch der Internationalen Beziehungen. 2. Auflage, Wiesbaden: Springer VS, 429-464, insb. 433-435. ↩
Beziehen sich die hier angeführten Beispiele primär auf den Lehrkontext bzw. die Studierenden als zentralem Gegenüber, so wären z.B. im Falle eines Führungsrollen-Coachings die Mitarbeiter oder Kollegen bzw. die Arbeitsprozesse in der Forschergruppe oder im Arbeitsbereich zu nennen. ↩
Im Anschluss an David Winter (2003): Personality and Political Behaviour, in: David O. Sears/Leonie Huddy/Robert Jervis (Hg.): Oxford Handbook of Political Psychology. Oxford: Oxford University Press, 110-145, hier S. 112. ↩
Vgl. zum Mehrwert einer expliziten und impliziten Motiv-Profil-Analyse Stefan Dörr/Alexandra Hund/Franz Inderst (2016): Motiv-Profil-Analyse: Ein wirksames Instrument für die Diagnose und Entwicklung von Führungskompetenzen im Wissenschaftskontext am Beispiel des Leadership Excellence Programms für Nachwuchsgruppenleiter/innen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), in: Personal- und Organisationsentwicklung in Einrichtungen der Lehre und Forschung, 2/2016, 47-54. ↩
Vgl. hierzu Gerhard Stemmler/Dirk Hagemann/Manfred Amelang/Dieter Bartussek (2011): Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung. 7., vollständig überarbeitete Auflage, Stuttgart: Kohlhammer, 267-278. ↩
Vgl. zu Emotionen „erster“ bzw. „zweiter Ordnung“ Ted Brader/George E. Marcus (2013): Emotion and Political Psychology, in: Leonie Huddy/David O. Sears/Jack S. Levy (Hg.): The Oxford Handbook of Political Psychology. 2. Auflage, Oxford: Oxford University Press, 165-204. ↩