„Sind Sie noch da?“ – Aufmerksamkeitslenkung in der Vorlesung
Ihm komme es vor, als sei „zwischen dem Katheder und den Zuhörern eine Art von Schranke […], die sich kaum übersteigen läßt“, so schreibt Schiller nach seiner Antrittsvorlesung 1789 in Jena an einen Freund. Er vermisse die „Möglichkeit, sich, wie im Gespräch, an die Fassungskraft des anderen anzuschmiegen“ (Schiller 1982: 245, zitiert in Apel 1999).
Ein gewisses Misstrauen in die didaktische Effizienz des Veranstaltungsformats „Vorlesung“ ist nichts grundsätzlich Neues. Schon häufig wurde sie als veraltetes Modell akademischer Lehre gescholten und zum „Auslaufmodell“ erklärt. Jedoch: nach einer deutschlandweiten Auswertung von Modulhandbüchern (Kerres & Schmidt 2011) stellen Vorlesungen zwischen 40 und 50% aller Veranstaltungen in Bachelor-Studiengängen der Ingenieur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. In Zeiten des anhaltenden Wachstums der Studierendenzahlen erscheint die Vorlesung als Mittel der Wahl, um den Ansturm zu bewältigen. Einiges spricht dafür, dass im Hinblick auf die neueren didaktisch-technischen Möglichkeiten des Blended Learning eine konzeptionelle Neuverortung des Formats in vielen Fällen sinnvoll und hilfreich sein könnte (Stichwort „inverted classroom„). Bisher sind im Universitätsalltag Vorlesungen eher traditionellen Zuschnitts jedoch der Regelfall.
Dabei dürfte jede Lehrende, die schon einmal „am Katheder“ stand, dann und wann das Gefühl beschlichen haben, nur einen Bruchteil der Studierenden wirklich zuverlässig zu erreichen – zumal in jüngerer Zeit, wenn man immer häufiger in fahl beleuchtete Gesichter blickt, die, anstatt aufmerksam dem Vortrag zu lauschen, in ihre kleineren und größeren Bildschirme versunken scheinen (über deren Inhalt man stets nur mehr oder weniger wohlwollend mutmaßen kann). Auch das Thema „Lautstärke“ sorgt im Hörsaal oft für ein gewisses Unbehagen – sei es, weil man sich selten wirklich sicher sein kann, dass die Mikrofonanlage auch für die hintersten Reihen noch brauchbare Ergebnisse liefert, sei es, weil der Grundpegel im Auditorium auf- und abschwillt, und dabei vom Ideal des „stillen Zuhörens“ bisweilen gehörig abweicht.
Viele Lehrende sind sich durchaus bewusst, dass eine Forderung nach 90 Minuten ungeteilter Aufmerksamkeit unrealistisch ist, und die meisten Studierenden (und auch sie selbst) überfordern würde. Sie lockern ihre Veranstaltung auf, indem sie aktivierende Maßnahmen einbauen und in den Methoden abwechseln. Dennoch – wenn akut die Aufmerksamkeit des Saals zurückerlangt werden soll, erscheint manchem der Hinweis auf die „Klausurrelevanz“ des erörterten Materials als einzig erfolgversprechendes Mittel – begleitet vom Gefühl, dass es darum an der Universität eigentlich nicht gehen sollte. Und von der Gewissheit, dass diese Klinge bei häufigem Gebrauch schnell abstumpft.
Die spannende Frage ist: welche Möglichkeiten habe ich als Lehrende, im großen Hörsaal aktiv und wirkungsvoll Aufmerksamkeitslenkung zu betreiben, und damit nicht nur den Lernerfolg für die Studierenden, sondern auch die Zufriedenheit in der eigenen Lehre zu erhöhen? Das hochschuldidaktische Kooperationsprojekt LEAP (Lehrentwicklung – Angebote für Professorinnen und Professoren) nimmt sich dieser Frage an und entwickelt speziell für die Zielgruppe der Professorinnen und Professoren Materialien und Angebote, die diese Themenstellung aufgreifen und die im Rahmen der Projektpilotierung 2016 an den Universitäten Hohenheim und Tübingen zur Verfügung stehen. Im April wird beispielsweise an der Universität Tübingen ein auf Professorinnen und Professoren zugeschnittener Workshop stattfinden, der sich mit konkreten Handlungsstrategien zur Aufmerksamkeitslenkung im Hörsaal befasst (gesonderte Ausschreibung folgt in Kürze). In Hohenheim bietet Andreas Glombitza-Cevey für diese Zielgruppe ausserdem videogestützte Hospitationen an. Hier können durch eine „Außensicht“ auf die Veranstaltung individuelle Optimierungsstrategien ausgearbeitet werden. Für die intensive Beschäftigung mit individuellen Fragestellungen rund um die Vorlesung besteht darüber hinaus die Möglichkeit eines Einzelcoachings über mehrere Sitzungen, durchgeführt von zertifizierten externen Coaches.
Natürlich finden sich auch im aktuellen HDZ-Programm zahlreiche thematisch relevante hochschuldidaktische Workshops zum Thema „Vorlesung“, die allen Lehrenden offenstehen (siehe Tabelle unten, jeweils mit Anmeldemöglichkeit).
Sind Sie Professorin oder Professor an der Universität Hohenheim, und die LEAP-Angebote wecken ihr Interesse? Dann wenden Sie sich gerne an Andreas Glombitza-Cevey.
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Thematisch passende Workshops im aktuellen HDZ-Programm:
24.02.2016 – 26.02.2016 | Rhetorik in der Hochschullehre | Freiburg | Christoph Werren | |
25.02.2016 | Motivation Lernender durch aktivierende Methoden | Hohenheim | M.A. Tiana Roth | |
01.03.2016 – 02.03.2016 | Sprechen und Auftreten: Praktisches Performance Training für Lehrende | Heidelberg | Maxi Zöllner | |
10.03.2016 – 11.03.2016 | Sprechen und Auftreten – Praktisches Performance-Training für Lehrende | Mannheim | Maxi Zöllner | |
07.04.2016 – 08.04.2016 | Stimmtraining für Dozenten und Dozentinnen | Hohenheim | Christoph Werren | |
03.06.2016 | Große Vorlesungen, Übungen und Seminare – Wege zur Weiterentwicklung der Frontallehre | Freiburg | Prof. Dr. Wilfried Hauenschild Martin Mürmann |
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21.09.2016 | Einsatz von Clicker in der Lehre – von Feedbackinstruments bis Peer Instruction | Karlsruhe | Sarah Holstein Andreas Sexauer |
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10.10.2016 | Effektive Vorlesungen | Konstanz | Dr. Andreas Fleischmann |
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Quellen und weiterführende Literatur:
Kerres, M. & Schmidt, A. (2011). Zur Anatomie von Bologna-Studiengängen: Eine empirische Analyse von Modulhandbüchern. Die Hochschule, 173–191.
Kerres, M. & A. Pressler (2013). Zum didaktischen Potenzial der Vorlesung: Auslaufmodell oder Zukunftsformat? Reimann, G., Ebner, M. & S. Schön (Hrsg.) Hochschuldidaktik im Zeichen von Heterogenität und Vielfalt. Doppelfestschrift für Peter Baumgartner und Rolf Schulmeister. Bad Reichenhall: BIMS. S. 79-98
Sehr interessanter Artikel.Vielen Dank für die tollen Informationen. Habe wieder einiges dazu gelernt.
Gruß Sandra
Auch von mir ein Danke an den Autor! Toller Artikel, lese immer wieder gerne hier…
Ein sehr guter Artikel. Auch ich hatte während so mancher Vorlesung ab und zu mal Probleme dem Dozenten zu zuhören, hilfreich fand ich immer, wenn es kein Skript gab in dem schon alles ausgeführt ist.
LG
Den Hinweis finde ich sehr interessant – es gibt zum Thema „Skript“ durchaus unterschiedliche Einschätzungen unter Studierenden. Ihren Kommentar verstehe ich so, dass das Fehlen eines Skripts Sie quasi dazu „zwingt“ sich auf den Vortragsteil „einzulassen“. Häufiger höre ich, dass Skripte stark nachgefragt werden, und ihr Fehlen bemängelt wird.
Richtig ist sicher, dass ein gutes Skript dafür sorgen kann, dass auch eine im Vortrag und der Durchführung eher mittelmäßige Vorlesung nicht direkt zu schlechten Lernergebnissen (bzw. Klausurergebnissen) bei den Studierenden führt. Allerdings frage ich mich dann, ob das Format passend gewählt ist, denn einen Lektürekurs kann man auch mit weniger Aufwand betreiben.