Mal eben so auf Englisch lehren?
Englisch als Unterrichtssprache an Hochschulen ist seit Jahren auf dem Vormarsch. Die Zahl der rein auf Englisch angebotenen Studiengänge an deutschen Hochschulen hat sich in den letzten zehn Jahren knapp verdreifacht1. Englisch hat sich international als akademische Lingua Franca fest etabliert, besonders im naturwissenschaftlichen Bereich und in den Ingenieurswissenschaften. Auch die Universität Hohenheim bietet aktuell 132 von insgesamt 25 Master-Studiengängen auf Englisch an. Dieser Artikel soll einen Aufriss über die Herausforderungen bieten, die damit insbesondere für die Lehre(nden) verbunden sind.
World Englishes: Haben Sie ein gutes Ohr?
Können Sie vom bloßen Zuhören die Sprecher ihren Ländern zuordnen? (zur Auflösung:3)
Sprecher 1:
Sprecher 2:
Sprecher 3:
Quelle: Projekt TELF – Tübingen English as a Lingua Franca
Englisch an deutschen Hochschulen: eine Herausforderung für die Forschung…
Außer Frage steht laut einer Empfehlung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) zur „Sprachenpolitik an deutschen Hochschulen“, dass eine Verankerung auf internationaler Ebene für exzellente Forschung unabdingbar ist, denn Wissenschaft ist ihrem Wesen nach international, multikulturell und multilingual (vgl. HRK 2011: 2). Englisch ist die unangefochtene Lingua Franca der internationalen Forschung, und die Existenz einer gemeinsamen Sprache fördert Entstehung und Vertiefung einer globalen scientific community. Trotzdem ist diese Entwicklung nicht frei von Herausforderungen. Im Feld der Forschung stellt sich aus einer sprachpolitischen Perspektive die Frage nach der Zukunft des Deutschen als Wissenschaftssprache. Bereits jetzt ist festzustellen, dass nicht-englischsprachige Publikationen in vielen Forschungsbereichen als nachteilig angesehen werden, da bestehende bibliometrische Datenbanken und Ranking-Verfahren klar auf Englisch als Publikationssprache ausgerichtet sind, was zu „unerwünschten Wettbewerbsverzerrungen“ (vgl. HRK 2011: 8) führen kann. Ebenso kann dadurch langfristig der Zugang zu älterer, nicht-englischer Literatur erschwert werden, so dass die Breite der fachlichen Debatte sich letztlich verringert. Nicht wenige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dürften sich durch die mehr oder weniger zwingende Nutzung der Fremdsprache in ihrer Arbeitseffektivität und -effizienz beeinträchtigt sehen. Und nicht zuletzt ist die Frage berechtigt, ob der gesellschaftliche Auftrag der Hochschule, Forschungsergebnisse einer breiteren – auch nationalen – gesellschaftlichen Diskussion zugänglich zu machen, durch die vermehrte Nutzung des Englischen eher erschwert wird.
…und für die Lehre
Aufseiten der Studierenden gibt es zunächst ebenfalls klare Vorteile der Etablierung englischsprachiger Studienangebote zu nennen: gemäß Zielsetzung erhöhen sie die Attraktivität der Studienangebote für internationale Studierende, während sie für deutsche Studierende im Sinne der Förderung von Mehrsprachigkeit „eine wünschenswerte Qualifikation und einen kompetitiven Vorteil für ihr späteres Berufsleben in einem globalisiertem Arbeitsumfeld“ (HRK 2011: 7) darstellen können. Es entstehen jedoch auch Herausforderungen, sowohl aufseiten der Studierenden, wie auch der Lehrenden. Unstrittig ist, dass unzureichende Kenntnisse des Englischen auf beiden Seiten die Erreichung von Lernzielen gravierend erschweren können. Aber auch mit fundierten Englischkenntnissen kann für Nichtmuttersprachler die Teilnahme am Diskurs in Lehrveranstaltungen erschwert sein, wenn sie sich in ihrer Ausdrucksfähigkeit beeinträchtigt sehen – etwa durch Unsicherheit in der mündlichen Kommunikation und daraus folgender Hemmung, überhaupt das Wort zu ergreifen4.
Auch für die internationalen Studierenden können englischsprachige Angebote Segen und Fluch zugleich sein: mangelnde Kenntnisse der Landessprache (also des Deutschen) können hinderlich sein, wenn es um die Integration an der deutschen Hochschule und deren Umfeld geht. Wichtig wird dies, wenn bei ihnen die mehr oder weniger implizite Erwartung bestehen, dass „[…] ein Studium in Deutschland auch zu entsprechenden Deutschkenntnissen führt, die eine langfristige berufliche Perspektive in Deutschland eröffnen“ (HRK 2011: 7). Durch englischsprachige Angebote verringert sich jedoch die Notwendigkeit, Deutsch im Alltag zu nutzen und es fällt eine wichtige Gelegenheit weg, die Sprache durch Aneignung besonders effektiv zu lernen.
Doppelte Herausforderung für Lehrende
Für Lehrende gilt ebenso wie für Studierende, dass zunächst die fremdsprachlichen Kenntnisse solide und der Aufgabe gewachsen sein müssen. Fest steht laut der HRK-Empfehlung, dass „nicht alle Lehrende zwangsläufig über die erforderlichen Kenntnisse [verfügen], um auch auf Englisch exzellente Lehre sicher gewährleisten zu können“ (HRK 2011: 6). Auch die Empfehlung der HRK ist jedoch wenig konkret, was die Ausformulierung solcher „erforderlichen Kenntnisse“ angeht. Man kann den Eindruck gewinnen, die Aufgabe bestünde lediglich darin, dass „ordentlich übersetzt“ wird – zweifellos ein wesentlicher Aspekt der Herausforderung. Aber wenn man von diesem Aspekt einmal absieht, sehen sich Lehrende bei der Umstellung einer Lehrveranstaltung oder eines ganzen Studienganges noch einer anderen Herausforderung gegenüber, die in ihrer Breite selten thematisiert wird. Sie stehen auch vor der Aufgabe, das eigene didaktische Repertoire – also die kommunikativen Fertigkeiten, etwa im Veranstaltungsraum Präsenz zu schaffen, Studierende zu aktivieren, Aufgaben anzuleiten und Abläufe zu organisieren – in der Fremdsprache neu zu konstruieren; gleichzeitig kommt ihnen eine wichtige kommunikative Vorbildfunktion für ihre jeweiligen Lehrveranstaltungen zu – es bilden sich multilinguale, multikulturelle „communities of practice“, deren implizites Regelwerk von der Lehrperson maßgeblich sprachlich konstituiert wird. Lehrende beeinflussen etwa durch ihre eigenen kommunikativen Setzungen, ob sich eine Atmosphäre der aktiven, konstruktiven Zusammenarbeit bei der gemeinsamen Suche nach Erkenntnissen ergibt – oder ob, im Extremfall, lediglich eine dröge „Vorlesung“ von leidlich übersetzten, uninspiriert vorgetragenen Fremdsprachentexten herauskommt, die allzu tief gehende – mit sprachlichen Unsicherheiten auf beiden Seiten verbundene – Interaktion eher abwürgt als fördert.
Umgang mit sprachlicher Variation – wessen Englisch?
Ein mit dieser Problematik eng verbundener Aspekt, der besonders in der jüngeren angewandt-linguistischen Forschung zum Gebrauch des Englischen als Lingua Franca hervorgehoben wird, ist die Frage nach dem adäquaten Umgang mit Abweichungen von der englischen Sprachnorm. Der Begriff der „Norm“ ist für die englische Sprache aufgrund der großen Zahl und Diversität ihrer Sprecher5 weit problematischer als etwa beim Deutschen: nicht nur gibt es mehrere muttersprachliche Varianten des Englischen (American und British, Australian, Canadian und New Zealand English) sondern auch zahlreiche Varietäten (bspw. Indisches Englisch oder Hongkong Englisch), ganz zu schweigen von spezifischen nichtmuttersprachlichen Ausprägungen, die etwa ein italienisch gefärbtes Englisch von dem eines chinesischen Sprechers klar unterscheidbar machen. Niemand wird von Lehrenden erwarten, dass sie sich mit diesen Feinheiten und Unterschieden im Detail auskennen. Jedoch ist mitunter einige Flexibilität und Übung gefragt, wenn es darum geht, Sprecher einer ungewohnten Varietät zu verstehen – wohlgemerkt, nicht, weil diese Fehler machten, sondern weil es eine enorme Spannbreite an Variation gibt. Kommen noch die zahlreichen Phänomene mündlicher Sprache6 und die diversen Fehler hinzu, die für Nichtmuttersprachler durchaus typisch sind (bekannt sind etwa false friends, Wortbedeutungen, die in irrtümlicher Annahme aus nur scheinbar verwandten Wörtern der Muttersprache übernommen werden)7 potenzieren sich diese Schwierigkeiten.
Aber nicht nur beim gegenseitigen Sprachverstehen gibt es Hürden. Die Sprachproduktion – das Sprechen in einer Fremdsprache – erfordert mitunter weit höhere kognitive Anstrengungen als in der Muttersprache, deren Produktion in wesentlichen Teilen (Wortfindung, Satzbau) „vollautomatisiert“ abläuft. Für Nichtmuttersprachler – auch sehr kompetente – ist hingegen typisch, dass sie über einen kleineren aktiven Wortschatz und weniger automatisiertes Regelwissen verfügen. Die Aufrechterhaltung einer durchschnittlichen Sprechgeschwindigkeit (ca. drei Wörter pro Sekunde) kann daher – je nach Komplexität der kommunizierten Inhalte – das individuelle Aufmerksamkeitsreservoir bereits vollständig beanspruchen, so dass für „didaktische Aufmerksamkeit“ nur noch wenig Raum bleibt. Besonders Lehrende, die noch wenig Erfahrung mit der intensiven Nutzung „ihres“ Englisch im universitären Kontext haben und sich daher weniger sicher bewegen als in ihrer Muttersprache, müssen Strategien entwickeln, wie sie unter diesen Bedingungen als Lehrperson wirkungsvoll und überzeugend auftreten. Hilfreich ist in jedem Fall ein souveräner Umgang mit eigenen Fehlern im mündlichen Vortrag sowie die Vermeidung unrealistischer Erwartungen an die eigene Sprachkompetenz (sowie an die der Studierenden), denn „Sprachperfektionismus“ bringt nicht nur das Gefühl des Scheiterns und der chronischen Unzufriedenheit mit der eigenen kommunikativen Leistung mit sich. Darauf bezogene Vermeidungsstrategien, wie etwa strenges „skripten“ des Seminarvortrags, dürften überwiegend negativen Einfluss auf die Lebendigkeit, die Atmosphäre und die Effektivität des Austauschs mit den Studierenden haben.
Bisher nur wenige kombinierte sprachlich-hochschuldidaktische Unterstützungsangebote
Die Herausforderung betrifft also nicht nur den inhaltlichen Aspekt der akademischen „Fachsprache“, sondern darüber hinaus auch die sprachlich vermittelte soziale Interaktion mit und unter Studierenden, und den informierten, konstruktiven Umgang mit eigenen und fremden sprachlichen Normabweichungen. Leider thematisieren die meisten universitären Sprachkurse bisher weder didaktisches Sprechhandeln noch den reflektierten Umgang mit der englischen Sprachnorm. Nur wenige Hochschulen bieten ihren Lehrenden bereits ein Unterstützungsangebot, das gezielt auf diese Herausforderungen vorbereitet8.
Um sicherzustellen, dass auch englischsprachige Angebote den Anforderungen an die geforderte „exzellente“ Lehrqualität gerecht werden, müssen Lehrende in die Lage versetzt werden, ihr eigenes Englisch sicher und angemessen für die eigenen didaktischen Aufgaben zu verwenden, und Studierende bei der Nutzung des Englischen als akademische „Lingua Franca“ angemessen zu unterstützen. Dazu ist fachkundige Anleitung nötig, die in Zukunft etwa durch kombinierte Angebote hochschuldidaktischer Einheiten mit universitären Fremdsprachenabteilungen geleistet werden könnte.
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Literatur:
Crystal, David (2003). English as a Global Language. Cambridge: Cambridge University Press.
Halliday, M. A. K. (1994). „Spoken and Written Modes of Meaning.“ In: Graddol, D. und O. Boyd-Barret (Eds.). Media Texts: Authors and Readers. Clevedon: Multilingual Matters, 51-73.
von 391 Studiengängen deutschlandweit im WS 2005/2006 auf 1.107 (Quelle: taz, erschienen am 19.03.15 ) ↩
Agricultural Economics M.Sc., Agricultural Sciences in the Tropics & Subtropics M.Sc., Bioeconomy M.Sc, Crop Sciences M.Sc., Economics M.Sc., Environmental Protection & Agricultural Food Production M.Sc., Environmental Science – Soil, Water & Biodiversity M.Sc., Earth System Science M.Sc., Food Microbiology and Biotechnology M.Sc., Food Science and Engineering M.Sc., International Business and Economics M.Sc., Landscape Ecology M.Sc., Organic Agriculture & Food Systems M.Sc. ↩
Auflösung: Sprecher 1 stammt aus China; Sprecher 2 ist aus Indien (Muttersprache: Marathi); Sprecher 3 ist arabische Muttersprachlerin aus Syrien ↩
hier ein interessanter, aktueller Kommentar zur Situation in Finnland, wo einerseits die englische Sprachkompetenz in der Bevölkerung besonders hoch ist, jedoch ein Phänomen weit verbreitet ist, das als „Stummbleiben aus Sorge, Fehler zu machen“ umschrieben werden kann: Finns urged to use foreign tongues more freely ↩
Englisch stellt mit 360-400 Millionen Muttersprachlern die drittgrößte Sprechergemeinschaft der Welt. Hinzu kommt jedoch noch eine große Zahl an Nichtmuttersprachlern. Nach Schätzung von D. Crystal übertraf sie bereits 2003 die Zahl der Muttersprachler um den Faktor drei – vgl. Crystal (2003) ↩
etwa sogenannte false starts, zögerliches Sprechen, Regelabweichungen, Planänderungen, „Reparaturen“ und „Neustarts“ während der Äußerung – Phänomene, die uns übrigens in der Regel nicht bewusst sind, und erst durch Transkription der gesprochenen Sprache sichtbar werden – vgl. Halliday, M.A.K (1994: 53) ↩
wobei festzuhalten ist, dass false friends – klassisches Beispiel: „May I become a steak please?“ – unter Englischsprechern, die miteinander dieselbe Muttersprache teilen (also z. B. deutschen Studierenden im Kurs eines deutschen Professors, der auf Englisch lehrt), kaum zu Verständnisproblemen führen, da sie beiden Kommunikationsteilnehmern in der Regel bekannt sind. Für Sprecher anderer Muttersprachen (beispielsweise andere internationalen Studierenden) ist, in Unkenntnis des deutschen Äquivalents „bekommen“, die intendierte Bedeutung weniger offensichtlich. Im obigen Beispiel ergibt sie sich recht einfach aus dem Kontext, da die wörtliche Interpretation absurd ist. Das muss jedoch nicht immer der Fall sein. ↩
Ein Vorreiter hierfür ist die Universität Freiburg, die im Zuge des Qualitätspakts Lehre ein Team für Englisch Medium Instruction (EMI) unter dem Dach des Sprachlehrinstituts aufgebaut hat ↩